Amerika in Mecklenburg

 

Wer sehnt sich nicht manchmal nach einer Auszeit vom Alltag? Während die Einen dazu die Welt bereisen, machen Andere eine Zeitreise ins historische Amerika, verzichten auf Handy, Computer und Komfort, schlüpfen in Kleidung, wie sie die Vorfahren auf der anderen Seite des Atlantiks trugen.

Lässig lehnt der Stadtmarshall in der Tür seines nach originalen Vorbildern selbstgebauten und eingerichteten Marshall Office. Über ihm hängt die amerikanische Flagge in der Windstille schlapp vom Fahnenmast. Er blickt über seine Stadt aus Zelten und Hütten. „Genau so sahen die Städte im Westen Amerikas anfangs aus“, erklärt der Marshall, der im bürgerlichen Leben Klaus Kasten heißt. „Niemand wusste, wie lange eine Stadt bestehen würde. Erst wenn sich herausstellte, dass es sich lohnte, wurden die Zelte nach und nach in Hütten verwandelt. Zusammen mit Mc Greedy, dem Trapper, Salooner Gypsy, der Waldland-Indianerin Zora, ihrem Mann Foxhunter und anderen bewohnt er in seiner Freizeit das Gelände der Gadebuscher Interessengemeinschaft Kulturgruppe für Indianistik und Westernhistorie.

Die aufgelassene Kiesgrube vor den Toren Gadebuschs ist ideal. Bis in die 1960er-Jahre wurde sie von der VEB Hochbau betrieben. Dann zogen die „Amerikaner“ ein. „Früher war alles kahl hier, der Hügel da drüben wurde extra aufgeschüttet“, erklärt Marshall Klaus Kasten. Inzwischen hat sich die Kieskuhle renaturiert und wird schützend von hohen Bäumen umstanden. Nicht immer ein Segen. Im Frühjahr fielen einige im Sturm und zerstörten eine Hütte.

Der nebenliegende „Saloon“, ein baufälliges Gebäude aus Kiesgruben-Zeiten, blieb unbeschädigt, ist zurzeit aber wegen Renovierung geschlossen. Das soziale Zentrum der kleinen Westerngemeinde soll im nächsten Jahr stilecht hergerichtet wieder eröffnet werden.

„Ein Wochenende hier ist wie ein Jahresurlaub. Alles fällt von einem ab.“ Salooner Gypsy alias Horst Hildebrandt, eben noch mit frischer „Schusswunde“ im „blutgetränkten“ weißen Großvaterhemd, steht lässig auf einen Stock gestützt im Ausgeh-Frack vor seinem Zelt. Wie die historischen Vorbilder ist es aus Holzstangen und Tuchbahnen gebaut. „Zwei Stunden brauchen wir dafür.“ Und für den Transport mindestens Kombi und Anhänger. Manche haben eine weite Anfahrt, kommen aus Wilhelmshaven, Plön oder Itzehoe.

Mit von der Partie ist Sohn Fabian. Der 17-Jährige kennt das Leben zwischen den Lagerfeuern von Trappern und Indianern seit 14 Jahren und ist einer der wenigen Jugendlichen in der Westernstadt. „Meinen Freunden ist das zu unbequem.“ Und zu kalt, denn die Saison beginnt bereits im Februar und reicht bis in den späten Herbst. Statt moderner Schlafsäcke sorgen dann Felle für ausreichend Wärme.

Gekocht wird auf Lagerfeuern und den Bolleröfen einiger Hütten. Wurst und Schinken hängen an Balken, werden bei Bedarf mit rustikalen Allzweckmessern abgesäbelt.

Schüsse fallen. „Viele von uns kommen über Schützenvereine zu diesem Hobby“, erklärt der Stadtmarshall auf Zeit. „Wir dürfen drei Stunden täglich auf Tierscheiben schießen.“ Die Kleingärtner des angrenzenden Vereins haben sich daran gewöhnt. „Wir kommen gut miteinander aus, sie haben ein Auge auf das Gelände, wenn keiner hier ist.“

Selbst jenseits offizieller Treffen verbringen viele Mitglieder der Interessengruppe hier Freizeit und Urlaub. Sabine und Jörg Brandenburger, im Camp als Zora und Foxhunter bekannt, haben sich hier kennen und lieben gelernt. „Wir habe nicht nur standesamtlich sondern auch nach dem Ritual der Waldland-Indianer geheiratet.“ Zora bekam Felle vom Jäger, er Feldfrüchte von seiner Frau. Die Waldland-Indianer hatten ein Matriarchat, waren sesshaft, betrieben Ackerbau und Viehzucht. Viele ihrer Gesetze waren Grundlage für die amerikanische Verfassung. 

 

 

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Die Indianer sind wieder los

 

  In Gadebusch haben wieder Indianer, Trapper und Siedler Einzug gehalten. Sie treffen sich von jetzt an wieder mehrmals im Jahr im ehemaligen Indianercamp an der Gadebuscher Ellerbäk. Schon zu DDR-Zeiten hatten sich Indianistik-Interessierte hier ein Ford mit Saloon, Gefängnis und Tipi-Zelten aufgebaut. Nachdem die Holzgebäude langsam dem Zerfall preisgegeben waren, ist schon wieder einiges saniert und neu aufgebaut worden.

„Wir fühlen uns der Geschichte verbunden und leben unsere Interessen aus“, erzählte Sabine Brandenburg aus Bokhorst bei Bad Segeberg. Sie und 25 weitere Mitglieder der Interessengemeinschaft Schleswig-Holstein für Indianistik und Westernhistorie haben seit einigen Jahren das Gebiet nahe der Ellerbäk in mühevoller Arbeit langsam wieder aufgebaut. Auch erste Schulklassen waren bereits zu Gast, um zu sehen, wie man ohne Strom, Smartphone und mit kaltem Wasser selbst im Winter einige tolle Tage erleben kann. „Einige jüngere Kinder fragen entsetzt, wo der Fernseher steht. Wenn wir dann erklären, dass es keinen gibt, wird das Interesse spürbar weniger“, erzählt Sabine Brandenbauer. Doch damit hätten sie gerechnet sagt Brandenburg und so zeigen die Trapper, Indianer und Siedler den Kindern, wie man ein Lagerfeuer entfacht, Speisen zubereitet oder Indianerschmuck bastelt.

„Wir haben vor fünf Jahren hier wieder etwas intensiver gearbeitet. Mittlerweile stehen die ersten Holzhäuser, die in Eigenregie errichtet wurden. Unsere Gruppe ist aus der ehemaligen Gadebuscher Gemeinschaft hervorgegangen. Leider ist von denen nun keiner mehr dabei“, erklärt die Indianistik-Interessierte. Trotzdem wollen sie die Interessengemeinschaft weiter bestehen lassen und ausbauen. Neben den seit einigen Jahren stattfindenden Winter-, Oster- und Herbstcamps soll es im kommenden Jahr auch erstmals ein Sommercamp geben. Dann wollen die 25 Mitglieder der Kulturgruppe auch Kinder einladen und mit ihnen tolle Tage verbringen. „Es fehlt hier an nichts, selbst Toiletten mit Spülung sind hier entstanden. Die Kinder würden hier ihren Spaß haben“, sagte Sabine Brandenburg. Wer sich über den Verein informieren will oder mit den Mitgliedern in Kontakt treten möchte, um am Sommercamp vom 5. bis 7. August 2016 teilzunehmen, kann das auf der Webseite www.indianistikgadebusch.wix.com tun.

 

 

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